Lea Martini

„Unsere Existenz manifestiert sich körperlich. Warum drängende Diskurse daher nicht unmittelbar mit unserer Körperlichkeit befragen? Ich erahne mir Körper als kinästhetischen Resonanzort unserer Gesellschaft, an dem unterschiedlichste Kräfte unmittelbar vermengt werden.“

  • Deeply really truly / © April Gertler

  • undead & delicious / © André Wunstorf

  • Paramount Movement / © André Wunstorf

Portrait

Die im Mittelalter aufkommende Vermutung, Tanz könne Menschen als epidemische Plage befallen oder heimsuchen, stiftet Lea Martini weit mehr als nur den Rahmen ihrer aktuellen Projektreihe „Dancing Plague“. Aus immer neuen Perspektiven sucht sie in unseren persönlichen und gesellschaftlichen Identitätskonstruktionen jene Zonen, die innen- wie außenwirksam Einheitlichkeit und Konsistenz evozieren wollen, während sie sich – brüchig und porös – immer schon in Auflösung befinden. Denn genau hier erweist sich der Körper als anfällig, von Massenbewegungen affiziert und infiziert zu werden, um diesen dann mit äußerster Hingabe und der Bereitschaft und Fähigkeit zur völligen Verausgabung zu folgen. Ob fanatischer Siegestaumel oder heroische Sterbeposen, ob Gesten und Handlungen der hemmungslosen Liebe, der unbändigen Begeisterung, bedingungslosen Hingabe, reuevollen Bußwilligkeit – Lea Martinis Choreografien machen das Ansteckungspotenzial kollektiver und kollektivierbarer Bewegungen und ihre vielgesichtigen Ausprägungen in Politik, Kunst, Religion und Pop in immer neuen Zusammenhängen erfahrbar. Die Übersetzung des Bewegungsmaterials in transparent konstruierte, choreografische Strukturen macht es den Betrachtern möglich, sich auf die ambivalente Dynamik von Manipulation, Instrumentalisierung und Verführung affirmativ und bevormundungsfrei einzulassen. Ihnen bleibt schließlich auch die Frage zur Beantwortung überlassen, ob die Tanzplage die Krankheit selbst, ihr Symptom oder gar ein (Selbst-)Heilungsversuch ist.

Marcus Droß

Produktionen

Deeply Really Truly (2013)
3 performers, stage 6 x 6 m, 60 min

Paramount Movement (2012)
2 performers, stage 9 x 9 m, 60 min

Undead & Delicious  (2011)
3 performers, stage 8 x 8 m, 60 min

memor I am  (2010)
3 performers, stage 8 x 8 m, 36 min

TRIP (2008)
3 performers, stage 8 x 8 m, 56 min

Biografie

Lea Martini ist Fan, Maulwurf, Choreografin und Tänzerin. Ihr Interesse an körperlichen Intensitäten brachte sie u. a. zur Ausbildung in zeitgenössischem Tanz in Berlin, zum Choreografiestudium in Arnheim und Amsterdam. Sie ist Mitbegründerin unterschiedlicher Kollaborationen wie des Performancekollektivs White Horse. Ihre weltweit tourende Performance „Trip“ erhielt 2011 mit einer für die Dansgroup Amsterdam adaptierten Version den Tanzpreis Het Zwaan. Als Deter/Müller/Martini entstanden Arbeiten, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Verhältnis von Körperlichkeit und Medialität auseinandersetzen. Ferner entwickelte Lea Martini drei Duette in Zusammenarbeit mit Hilde Elbers, Diego Agulló und Rodrigo Sobarzo de Larraechea. Auch arbeitet sie mit Jugendlichen, u. a. bei Het Lab in Utrecht, dem HOUSECLUB im HAU Hebbel am Ufer in Berlin und dem Schulprojekt „Learning by Moving“ in Freiburg.

Materialien

Lea Martini 2014