Jeremy Wade
„Für mich soll das Theater eine Alternative zur Isolation sein, ein ausgesprochen inklusives öffentliches Zusammenkommen, um den Körper in einem zukünftigen, nicht festgelegten Raum neu zu verorten, einem Raum, in dem ungewohnte Daseinsformen und affektive Beziehungsverhältnisse erforscht werden können, einem Raum, in dem die gesellschaftlichen Codes, welche in der gegenwärtigen, unverständlichen und gewalttätigen Welt unsere Körper bestimmen und unterdrücken, unterlaufen werden.“
Sein Alter Ego ist das eines monströsen Clowns – mit jener schonungslosen Sensibilität, die dieser tragikomischen Figur seit jeher innewohnt. Dass Jeremy Wade einer der philosophisch meist bewanderten Tänzerchoreografen der aktuellen Szene ist, erhöht noch die Fallhöhe seiner künstlerischen Versuchsanordnungen. Kaum jemand hat die Versklavung des Willens innerhalb der kompletten Durchökonomisierung des Lebens brutaler und emotionaler dargestellt als Jeremy Wade. Kaum jemand sich näher an die Abgründe herangewagt, in denen Reizerfüllung durch sukzessive Gefühlsentfremdung praktisch übergangslos in Gewalt umschlägt. Auf jeweils sehr verschiedene Art wird das Subjekt bei Wade zum Objekt seiner Erfüllungsoptimierung. In Death Asshole Rave Video, einem furiosen Stand-up-Comedy-Exzess, rennt es mit aller Kraft gegen den Tod an: Leben als Lebenstrieb, der je größer das Unbegreifliche, desto mehr Trieb denn Leben wird. In DrawnOnward, das nach dem „Wunschmaschinen“- Modell in Guattari-Deleuzes Anti-Ödipus entstanden ist, zelebriert das Ich seine Selbstaufgabe als Hingabe. Eingespannt in queere sexuelle Fitnessapparaturen, überlässt es sich ganz einem omnipräsenten Dienstleistungssektor. Jeremy Wade weiß, was er tut, wenn er die derzeitige Feier queerer Utopien schonungslos im Feuerwerk des Eskapismus aufgehen lässt. Er hat, bevor er nach Berlin kam, im New Yorker Nachtleben seinen Unterhalt verdient. Er kennt die Sehnsüchte, die dort gelebt, die Tode, die dort gestorben werden. In dieser Doppelbödigkeit zelebriert er, selbst in seinen versöhnlichsten Stücken wie etwa dem partizipatorischen Together Forever, auch die Erlösungserwartungen an die Kunst.
Astrid Kaminski
Human Resources (2014)
Together Forever (2014)
Jeremy Wade, Liz Rosenfeld, Michiel Keuper, Igor Koruga, Jared Gradinger
Death Asshole Rave Video (2015)
DrawnOnward (2015)
Jeremy Wade ist Performer, Performancemacher, Kurator und Lehrer. Im Jahr 2000 machte er an der School for New Dance Development in Amsterdam seinen Abschluss. Sein erstes Stück mit dem Titel Glory, für das er einen Bessie Award erhielt, wurde 2006 am Dance Theater Workshop in New York City aufgeführt. Seitdem lebt Wade in Berlin, wo er eng mit dem HAU Hebbel am Ufer zusammenarbeitet. Zu seinen neueren Arbeiten gehören Dark Material (2013), eine Kollaboration mit der Bildhauerin Monika Grzymala und der Band Xiu Xiu, sowie Together Forever (2014), ein dreistündiges Werk/Festmahl mit Zuschauerbeteiligung. 2015 schuf Wade die Stücke Death Asshole Rave Video und DrawnOnward, die sich beide mit dem Tod des Menschen, dem Innenleben der Zombies und dem prekären Körper im modernen Kapitalismus beschäftigen.