Leonard Cruz
Mein Interesse gilt dem tänzerischen Material. Dem ästhetischen Eigensinn von Raumund Körper. Es geht mir um das Entwickeln choreografischer Strukturen, die Raum für diePräsenz des Gegenwärtigen, für Improvisation, Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit las-sen. Dabei spielt die dynamische Wechselwirkung von Wahrnehmung, Impuls und Aktionals kreativem und zugleich destruktivem Prozess eine zentrale Rolle.
Tanz, der immer auch sich selbst reflektiert, der Bewegungen und Körperqualitätenzugleich zeigt und erforscht – das ist das Thema vieler junger Choreografen, so auch dasvon Leonard Cruz. Doch anders als viele seiner Forsythe-infizierten Kollegen greift Cruzhierfür auf eine überraschend alte Quelle zurück: „Labans Theorie, seine Raum-harmonielehre, inspiriert mich“, sagt Cruz, und seine Stücke versteht er als Versuch,diese Ideen auf modernen Tanz zu übertragen. Bislang ist der auf den Philippinen gebo-rene und in den USA ausgebildete Tänzer noch stärker als Performer und Dozent bekannt.Doch nach kleineren Soloarbeiten für das Bremer Tanztheater fiel Cruz mit seinem Solo„Mechanical Constructions for One“ erstmals auch als Choreograf auf und wurde damitals einer von drei Choreografen zur Abspielförderung „tanzstrasse 2003“ eingeladen. EinMensch schält sich da langsam aus dem Halbdunkel, der Kopf pendelt haltlos, die Füßeschleifen und stolpern über den Boden und der extrem durchgedrückte Rücken scheintdiesen Körper fast aus seiner Balance nach hinten kippen zu lassen. Was grotesk undmonströs am Anfang wirkt, findet langsam zu einer eigentümlichen Schönheit. Cruz ent-deckt – und das ist das eigentliche Wunder in seinem beeindruckenden Solo – dieEleganz im Widernatürlichen, und es ist diese Differenz, die Abweichung von gewohntenKörperbildern, die fasziniert. Zu einer Pose findet sein Geschöpf endloser Trans-formationen nicht, es bleibt ein Suchendes – wie auch Leonard Cruz mit diesem Stück„Anti-Struktur“ vor allem den viel versprechenden Mut zu Forschung und Experimentausgedrückt hat.
Nicole Strecker
Silence, Mr. Cage (2003)
4 dancers, 1 performer, stage: 10 x 8 m
Mechanical Constructions for One (2001)
solo, stage: 10 x 8 m
Leonard Cruz wurde 1965 in Pampanga / Philippinen geboren. 1984– 87 studierteer Tanz an der University of California (Los Angeles). 1993 kam er nach Deutsch-land und war zunächst Gasttänzer beim Wuppertaler Tanztheater von PinaBausch und am Tanzstudio der Folkwang Hochschule Essen. Von 1994 bis 2000war er Mitglied des Bremer Theaters, u.a. unter Susanne Linke und UrsDietrich. Seit 1996 entstanden Choreografien, u.a. „Mechanical Constructionsfor One“ (2001), „The Perfect Whisper“ (2002) und zuletzt „Caught in Light“(2003). 1997/98 erhielt Cruz das Dance WEB-Stipendium der InternationalenTanzwochen Wien.