Sheena McGrandles
„Durch den Körper als Potenzial baue ich Räume, die sich nicht nur mit dem Ereignis der physischen Performance an sich beschäftigen; vielmehr versuche ich, genau diesen Akt zu dezentralisieren. Die parallelen Räume bluten und schwappen ineinander; zwischen dem Theaterraum, dem Ausstellungsraum und dem sozialen Raum entstehen so sofort multiple Schichten.“
Die Hinwendung zu einer dezentralisierten choreografischen Praxis, das heißt die Verlagerung des Augenmerks auf die Interaktionen und Möglichkeiten der Räume, Oberflächen und Äußerungen, die Performance zu einem eher affektiven als narrativen Erlebnis machen, steht im Zentrum von Sheena McGrandles jüngster künstlerischer Recherche. Diese Recherche widersteht der Versuchung, den Erwartungen des Publikums nachzugeben oder auf konventionelle Aufführungsmuster zurückzugreifen und schafft stattdessen einen erweiterten sensorischen Raum, in den wir unsere eigenen Gefühle und Assoziationen einbringen können. Dieser Raum ist sowohl verführerisch als auch verstörend und erklärt jeden einfachen Sinn für nichtig, gibt uns aber die Gelegenheit, selber herauszufinden, um was es geht. Performance ist hier nicht mehr eine Frage der Aufrechterhaltung konzentrierter Aufmerksamkeit innerhalb eines vorgegebenen Raums, sondern es geht vielmehr um die Verschiebung der Grenzen dessen, wo, wie und wodurch eine Performance zum Vorschein gebracht werden kann. Die körperliche Präzision und der außerordentliche Stimmumfang der beiden Darsteller in „True Balls“ (2012) zum Beispiel bauen sich langsam auf im Verhältnis zu einem einzigen, statischen, zunehmend unheimlichen und fleischlichen Objekt. Die Wirkung ist formalistisch, und formale Mittel – das Schaffen von Bedingungen, unter denen die Körper der Darsteller den physischen, stimmlichen und inhaltlichen Rahmen der Performance erfolgreich unterlaufen können – sind es auch, durch die sich diese Wirkung überträgt und unsere kulturellen Muster mit schwarzem Humor und großer Kunstfertigkeit hinterfragt werden. Die Transformation und Manipulation der materiellen und immateriellen Oberflächen, in die unsere Körper und Stimmen sich einschreiben, erzeugt einen unwiderstehlichen Puls affektiver Resonanz, der für die hier betriebene choreografische Recherche von zentraler Bedeutung ist.
Ric Allsopp
Flush (2022)
Figured (2020)
True Balls (2013)
2 performers, stage 9 x 9 m, 50 min
Steve and Sam (2013)
2 performers, stage 5 x 5 m, 30-50 min
Eee (2012)
solo, stage 9 x 9 m, 40 min
Ee (2011)
solo, stage 6 x 6, 30 min
Growing a Man (2009)
solo, stage 6 x 6 m, 40 min
One woman and a Mic (2009)
solo, stage 6 x 6 m, 40 min
Sheena McGrandles stammt aus Nordirland und hat am Laban Centre in London 2007 ihren B.A. in Tanztheater gemacht. Als Artist-in-Residence bei der Daghdha Dance Company in Irland (2008/09) erhielt sie den Choreographic Bursary Award des DanceHouse, Dublin. Mit Unterstützung der Studienstiftung des deutschen Volkes schloss McGrandles 2012 den M.A. in Solo/Dance/Authorship (SODA) am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT) ab. 2012 erhielt sie ein danceWEB-Stipendium und war 2012/13 Choreographer-in-Residence beim K3 – Zentrum für Choreographie auf Kampnagel in Hamburg. Derzeit arbeitet McGrandles mit der Künstlerin Eva Meyer-Keller zusammen und tourt mit ihrem „E series“-Projekt und mit „True Balls“. McGrandles gehört zum künstlerischen Forschungsteam des HZT Berlin und wird die nächsten drei Jahre durch das PAP Mentoring Programm in Berlin gefördert.